Akademische Tagelöhner

Mit einem Aktionstag wollen heute [6.11.2014] die hauptberuflichen Lehrbeauftragten auf ihre prekäre Situation aufmerksam machen. In mehr als einem Dutzend Städten sind Flashmobs, Protestchöre, Orchesteraufführungen oder Podiumsdiskussionen geplant.

Wie werden die Proteste begründet?

Während in den vergangenen Jahren die Zahl der Professuren an deutschen Hochschulen nur langsam stieg, hat sich laut Statistischem Bundesamt die Zahl der Lehrbeauftragten innerhalb der letzten zehn Jahre fast verdoppelt. Vor dem Hintergrund wachsender Studierendenzahlen und Einsparungen bei der Finanzierung wird die Lehre zunehmend durch den Mittelbau und freiberufliche Lehraufträge abgedeckt. Diese externen Experten machen laut Linda Guzzetti vom Berliner Landesverband der GEW allerdings nur einen begrenzten Anteil unter den Lehrbeauftragten aus. Viele Lehrbeauftragte seien heute Akademiker, aber auch Promovierende, die Lehrerfahrung sammeln wollen.

Welche Gruppen sind besonders betroffen?

Besonders von der Praxis prekärer Beschäftigung betroffen sind die hauptberuflichen Lehrbeauftragten. Vor allem an den Fachhochschulen, den Musikhochschulen und an den Sprachzentren gebe es einen beträchtlichen Anteil von Menschen, die ihren Lebensunterhalt alleinig mit Lehraufträgen bestritten. Diese Gruppe trifft die niedrige Vergütung der Lehraufträge in besonderer Weise.

Wie viel verdienen Lehrbeauftragte im Schnitt?

Der emeritierte Professor für Politikwissenschaft an der FU Berlin, Peter Grottian, hat ausgerechnet, dass samt Betreuung, Korrekturen sowie Vor- und Nachbereitung viele Lehrbeauftragte für kaum zwei Euro pro Stunde arbeiten. Guzzetti hält diese Berechnung für extrem, aber realistisch und führt das Beispiel einer Kollegin an der Universität Potsdam an, die angab, bei einem neuen Kurs, der entsprechend viel Vorbereitungszeit benötigt, für umgerechnet drei Euro pro Stunde zu unterrichten.

Wie lauten die zentralen Forderungen?

Den Lehrbeauftragten geht es in erster Linie darum, reguläre Beschäftigungsverhältnisse einzufordern. Temporäre Lehraufträge sollten laut den Forderungen des Aktionstags lediglich ergänzende Lehrangebote sein. Die Lehrauftragsvergütung soll zum einen angepasst werden an die der hauptamtlich Beschäftigten und zum zweiten auf alle Tätigkeiten, die im Rahmen des Lehrauftrags anfallen, erweitert werden. Außerdem werden mehr Mitbestimmungsrechte gefordert.

Was passiert nach dem Aktionstag?

Für die Organisatoren soll es nicht bei dem Aktionstag bleiben. So wurde bereits angekündigt, in den nächsten Wochen die Leitungen der Hochschulen zu einem öffentlichen Gespräch einzuladen, um sie nach den Veränderungen der Situation für die Lehrbeauftragten zu befragen.

Welche Uni-Gruppen sind ebenfalls betroffen?

Von prekärer Beschäftigung und niedriger Bezahlung ist auch der akademische Mittelbau betroffen. Laut dem Wissenschaftsrat haben mehr als 80 Prozent der wissenschaftlichen und künstlerischen Mitarbeiter an deutschen Universitäten lediglich eine befristete Stelle. Im Oktober hat die Initiative von Soziologen »Für gute Arbeit in der Wissenschaft« auf die verschiedenen Teile des akademischen Prekariats aufmerksam gemacht. »Promovierende kämpfen mit ihrem ungeregelten Rechtsstatus und persönlichen Abhängigkeiten. Lehrbeauftragte halten mit kümmerlich bezahlten Lehraufträgen die Studiengänge aufrecht«, heißt es in einer Petition der Initiative, die bisher über 2600 Menschen unterschrieben haben. Die Petition weist auch auf die prekäre Situation von sogenannten Sonstigen Mitarbeitern, Privatdozenten und Juniorprofessoren hin.

Um die einzelnen Teile des akademischen Prekariats aus der Vereinzelung zu lösen und miteinander in Verbindung zu setzen, gründen sich momentan bundesweit Initiativen. Auch in Berlin wird gerade am Netz der an den Berliner Hochschulen prekär Beschäftigten, Lehrbeauftragten und Bildungsarbeiter gestrickt. Mitinitiator ist der Soziologe Peter Ullrich. Ihm geht es darum, die Betroffenen für ihre Situation zu sensibilisieren. »Viele freuen sich über jedes kleine Stipendium und jede kleine monatliche Vertragsverlängerung« und hätten ihr Anspruchsniveau gesenkt, kritisiert Ullrich.

Infos: prekaereswissen.wordpress.com

Petition der Soziologen: bit.do/gaidw

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Erschienen in Neues Deutschland, 6.11.2014.