Bühne frei für Heuchelei. »Identitäre«, »Ein Prozent« und AfD üben nach Berliner Anschlag den Schulterschluss

Am Mittwoch abend (21.12.) haben in Berlin gleich mehrere rechte Gruppierungen versucht, Kapital aus dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz am Montag zu schlagen. In der Nähe des Anschlagsortes versuchten 50 Neonazis aufzumarschieren, etwa 600 Menschen stellten sich dem erfolgreich entgegen. Aaron Bruckmiller vom »Berliner Bündnis gegen rechts« zeigte sich gegenüber jW zufrieden: »Die Solidarität war an diesem Abend stärker als der Hass. Die Rechten trauern nicht, sondern missbrauchen die Toten für ihre Zwecke.«

Zeitgleich fand vor dem Kanzleramt eine Kundgebung von »Ein Prozent« statt. Die Initiatoren dieser Rechtsaußenkampagne – Götz Kubitschek vom »Institut für Staatspolitik« und der Compact-Chefredakteur Jürgen Elsässer – nahmen am Mittwoch beide teil. Pegida Dresden schickte das frühere FDP-Mitglied Siegfried Däbritz. Zum Schaulaufen der außerparlamentarischen Rechten gesellten sich auch die AfD-Spitzenpolitiker Björn Höcke und Alexander Gauland.

Trotz dieses prominenten Ensembles versammelten sich lediglich 150 Personen vor dem Kanzleramt, davon waren etwa ein Drittel Pressevertreter. Der Pfarrer Thomas Wawerka, dem aufgrund seiner rechten Äußerungen jüngst seine Gemeinde abhanden gekommen war, rief zum »Widerstand« gegen Merkels Flüchtlingspolitik auf. Es folgte schwere klassische Musik – währenddessen blickten Gauland und Co. betont andächtig in die Kameras der Fotografen und Kameraleute. Dieser Inszenierung stellten sich etwa 40 Menschen entgegen, von denen einige nach kurzer Zeit Platzverweise durch die Polizei erhielten.

Nach einer Stunde war das Schauspiel beendet. Doch für manche fing damit der Abend erst richtig an. Kurz nach der offiziellen Auflösung der Kundgebung ergriff Kubitschek ein Megaphon, ging ein paar Meter in die Menge und verkündete, soeben hätten junge Menschen die Bundeszentrale der CDU besetzt. Er schlug vor, hinzugehen und sich das anzusehen.

Die Besetzung entpuppte sich als Sitzblockade eines geschlossenen Gebäudes. Etwa 20 Aktivisten der »Identitären Bewegung« saßen vor dem Haupteingang des Konrad-Adenauer-Hauses, riefen »Merkel muss weg« und »Schützt unsere Frauen«. Die Gruppe bestand überwiegend aus angekarrten Kadern um den Österreicher Martin Sellner, der laut Der Standard mindestens 10.000 Euro von »Ein Prozent« erhalten haben soll. Auch Däbritz und Kubitschek ließen sich vor Ort blicken.

So überschaubar der Mobilisierungserfolg der Rechten selbst bei ihrer eigenen Basis war, so erreichten sie dennoch, was sie wollten: mit wenig Aufwand viel Aufmerksamkeit erheischen. »Identitäre Bewegung« und »Ein Prozent« verbreiteten bereits während der Sitzblockade Clips in den sozialen Medien. Erst am Montag hatte der AfD-Bundesvorstand ein Strategiepapier des Berliner AfD-Chefs Georg Pazderski beschlossen, nach dem man im Wahlkampf mit »sorgfältig geplanten Provokationen« punkten wolle.

Die Teilnahme von ranghohem AfD-Personal bei einer von »Ein Prozent«-organisierten Kundgebung mit anschließender Sitzblockade der »Identitären« könnte innerhalb der AfD durchaus für Unmut sorgen. Die aktionsorientierte außerparlamentarische Rechte bemüht sich seit längerem um eine stärkere Anbindung an die AfD. Vor allem die moderater auftretenden Mitglieder der Partei sehen das mit Skepsis. Offiziell distanziert sich die AfD von der »Identitären Bewegung«. Noch.

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Erschienen in junge Welt, 23.12.2016.