Die Polizei lügt: Biplab Basu über rassistisch motivierte Polizeikontrollen und wie Rassismus und Gewalt gegen Frauen gegeneinander ausgespielt werden (Interview)

Nach der Silvesternacht in Köln häufen sich die Berichte von Menschen, die der Polizei Rassismus vorwerfen. Wir sprachen dazu mit Biplab Basu. Er beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Thema und berät Betroffene rassistisch motivierter Polizeikontrollen.

Wie beurteilst du den Polizeieinsatz in Köln?

Biplab Basu: Das war purer Rassismus, nichts anderes als Racial Profiling. Die Polizei hat Menschen aufgrund von Merkmalen wie Hautfarbe, Haarfarbe, Kleidung, religiöser Symbole oder Sprache kontrolliert.

Die Polizei bestreitet, rassistisch gehandelt zu haben. Sie hätten Menschen nicht wegen ihres Aussehens, sondern aufgrund ihres Verhaltens kontrolliert.

Die Polizei lügt. Die Polizisten haben ja nicht exakt die Menschen kontrolliert, denen vorgeworfen wird, ein Jahr zuvor Straftaten begangen zu haben. Daher wurden die Menschen, die dieses Jahr Silvester in Köln feiern wollten, von der Polizei präventiv kontrolliert, also bevor sie sich überhaupt hätten irgendwie verhalten können.

In den vergangenen Jahren gab es zumindest in Ansätzen eine kritische Auseinandersetzung mit Racial Profiling. Nun nehmen viele Menschen die Polizei vor Rassismusvorwürfen in Schutz. Wie erklärst du dir den Backlash?

Zwar berichteten kritische Journalistinnen und Journalisten in den vergangenen Jahren häufiger über Rassismus bei der Polizei, doch weder die Bundesregierung noch andere Spitzenpolitiker haben das Problem wirklich ernst genommen. Racial Profiling war und ist ein Randthema. Dass nun etwa die Bundeskanzlerin die Polizei verteidigt, hängt auch mit der geplanten Regelung der sicheren Herkunftsländer zusammen. Die Bundesregierung möchte Geflüchtete aus Marokko, Algerien und Tunesien so schnell wie möglich abschieben. Diese Länder gelten aber noch nicht als sichere Herkunftsstaaten. Mit der aktuellen Debatte hofft die Bundesregierung auf Zustimmung in der Bevölkerung für ihr Vorhaben. Es geht in der aktuellen Diskussion auch darum, die Trennung zwischen legitimen Flüchtlingen und unerwünschten Flüchtlingen aufrecht zu erhalten. Außerdem haben die Politiker die anstehenden Wahlen im Kopf und möchten die antimuslimische Grundstimmung in der Gesellschaft bedienen. Für all das kommt der etablierten Politik die aktuelle Diskussion gerade recht.

In der Debatte verweisen viele derjenigen, die das Verhalten der Polizei verteidigen, auf den Schutz von Frauen vor Gewalt. Wie hängt das Argument mit Rassismus zusammen?

Der grüne Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer, sagte, es sei richtig gewesen, einen besonderen Blick auf »Menschen aus dem Maghreb« zu werfen. Man müsse abwägen zwischen dem Schutz unschuldiger Frauen vor Gewalt und dem Schutz unschuldiger Verdächtiger vor Kontrollen. Palmer argumentiert hier nach dem Motto: Wenn wir Frauen schützen wollen, müssen wir auch rassistisch handeln. Er wägt also zwischen Sexismus und Rassismus ab. Eine solche Argumentation finden wir heutzutage sehr häufig. Im klassischen Rassismus hätte man gesagt, schwarze Menschen oder Araber sollen in Ghettos leben, weil sie weniger wertvolle Menschen sind. So etwas sagt man heute nicht mehr, zumindest nicht offen. Rassismus wird heute anders verpackt, etwa indem Frauenrechte instrumentalisiert werden. Frauenrechte werden auch angeführt, um den Bundeswehreinsatz in Afghanistan zu legitimieren.

Es ist beschämend, dass auch einige Linke und Liberale mittlerweile ähnlich argumentieren und Rassismus und Sexismus gegeneinander ausspielen. Andere schweigen. So war aus den Reihen der Linkspartei kaum etwas zu hören.

Warum ist das so?

Viele Linke haben Angst, dass ihnen Frauenfeindlichkeit vorgeworfen wird, wenn sie das Recht betonen, nicht rassistisch behandelt zu werden. Der antimuslimische Rassismus ist so weit verbreitet, dass nur wenige Menschen trennen können zwischen einzelnen Individuen und dem angeblichen Verhalten aller Muslime. Die Vorstellung, dass Muslime besonders frauenverachtend sind, ist in der deutschen Gesellschaft weit verbreitet – auch unter linken Politikern und Aktivisten.

Hinzu kommt: Die Linkspartei hat die anstehende Bundestagswahl im Blick. Überspitzt gefragt: Warum sollten sie sich für irgendwelche Nordafrikaner einsetzen, die sie noch nicht einmal wählen können? Vielleicht spielt auch eine Rolle, dass Teile der Linkspartei auf ein rot-rot-grünes Regierungsbündnis abzielen. Sollte das gelingen, muss wohl auch die Linkspartei die bis dahin wahrscheinlich getroffene Regelung angeblich sicherer Herkunftsländer Marokko, Algerien und Tunesien verteidigen.

Welche Möglichkeiten haben Menschen, die aus rassistischen Motiven von der Polizei kontrolliert werden?

Die Polizei wird erst aufhören, Menschen aus rassistischen Gründen zu kontrollieren, wenn sie offiziell juristisch gestoppt wird. Ich wünsche mir deshalb, dass die Menschen, die in der Silvesternacht in Köln von der Polizei kontrolliert wurden und rechtlich dagegen vorgehen wollen, uns kontaktieren. Sie können sich bei der Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP) oder direkt bei mir persönlich melden. Ich möchte die Menschen bei ihrem Kampf unterstützen. Der juristische Weg ist zwar ein langwieriger Prozess, aber er könnte sich lohnen. Es gibt immer wieder Fälle, in denen Klagen etwas gebracht haben. So war etwa eine Sammelklage gegen Racial Profiling in Frankreich erfolgreich. Es ist zwar nicht sicher, ob wir erfolgreich sein werden, aber die Chance besteht.

Biplab Basu ist Historiker. Seit 2001 ist er Mitarbeiter bei ReachOut, einer Beratungsstelle für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Berlin. Er ist außerdem Mitbegründer der Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP), einer Gruppe von Aktivist_innen, die sich seit 2002 für Betroffene rassistischer Polizeigewalt einsetzt. KOP organisiert einen Rechtshilfefonds, dokumentiert rassistische Polizeiübergriffe, begleitet Gerichtsprozesse und zeigt Präsenz auf der Straße. Menschen, die in der Silvesternacht in Köln Opfer rassistischer Polizeikontrollen wurden, können Basu mailen: kop.basu@gmail.com.

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Erschienen in ak – analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 623 / 17.1.2017.