Alles AfD oder was? Die Bundesregierung verschärft ihre aggressive Standortpolitik

Es kehrt so langsam Ruhe ein in die Asyldebatte, was vor allem an der intensivierten Abschottung Europas liegt. Auch an die AfD scheinen sich Medien und Politik langsam zu gewöhnen. Entgegen der Annahme, die AfD werde an Rückhalt verlieren, wenn weniger Flüchtlinge kämen, steigt die Partei weiter in der Gunst der Bevölkerung. Momentan liegt sie Umfragen zufolge bei satten 15 Prozent. Die derzeitige Diskussion um einen linken Umgang mit der AfD bleibt daher notwendig, auch um eine Praxis gegen den Rechtstrend zu entwickeln. Ende April unternahmen Aktivist_innen einen Versuch, den AfD-Bundesparteitag in Stuttgart zu blockieren. Durch den Fokus auf die AfD droht allerdings eine andere Frage aus dem Blick zu geraten: Was macht eigentlich die Bundesregierung? Die ist gerade recht geschäftig. Eine umfassende Hartz-IV-Reform ist auf den Weg gebracht – vor allem zu Lasten Alleinerziehender und Langzeitarbeitsloser. Nach einem weiteren Gesetzentwurf von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) sollen EU-Migrant_innen erst nach fünf Jahren Anspruch auf Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe haben.Außerdem wird es bald ein Integrationsgesetz aus dem Innenministerium geben. Es sieht Leistungskürzungen vor, wenn Geflüchtete Integrationsmaßnahmen ablehnen. Deutschland wolle schließlich keine »Integrationssimulanten«, wie Sigmar Gabriel Mitte April schnaubte. Dass in der Realität etwa die Angebote für Deutschkurse nicht ausreichen und Geflüchtete häufig lange auf diese warten müssen, spielt für den SPD-Chef keine Rolle.

Die Bundesregierung bemüht sich indes, die Ausbeutungsmöglichkeiten zu verbessern: Dank des Integrationsgesetzes kommen Asylbewerber_innen schon bald in den zweifelhaften Genuss, als Leiharbeiter_innen beschäftigt werden zu können. Außerdem sieht das Gesetz vor, 100.000 Ein-Euro-Jobs für Geflüchtete einzurichten – »zur niedrigschwelligen Heranführung an den deutschen Arbeitsmarkt«, wie es in dem Eckpunktepapier zum Gesetz so schön heißt. Kritische Stimmen merkten bereits an, die Bundesregierung versuche, mit diesen Maßnahmen der AfD Wind aus den Segeln zu nehmen. In der Tat: Einige der getroffenen Entscheidungen entsprechen den Forderungen der Rechtspartei.

Doch die mehr oder weniger beschlossenen Gesetze haben keineswegs nur einen wahltaktischen Hintergrund. Mit ihnen setzt die Bundesregierung den durch die rotgrüne Agenda 2010 eingeschlagenen Weg fort. Der Druck auf Arbeitskräfte soll erhöht, die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt verstärkt, der Niedriglohnsektor ausgebaut werden. Kurzum: Die Bundesregierung macht weiter eine Sozial- und Arbeitsmarktpolitik im Interesse der Unternehmen. Diese freuen sich: »Die Verabredungen enthalten viele für die Unternehmen wichtige Punkte«, sagte der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und verwies vor allem auf die Regelungen zur Zeitarbeit. Für die Privatwirtschaft könnten Ein-Euro-Jobs »eine Möglichkeit sein, den Mindestlohn zu unterlaufen«, so Bernd Mesovic von Pro Asyl gegenüber der Jungen Welt. Bereits jetzt arbeiten etwa in Berlin tausende Geflüchtete als Billigjobber_innen für 1,05 Euro in Flüchtlingsunterkünften: in der Essensausgabe, der Reinigung, der Küche. Geflüchtete drohen der Bundesregierung sei Dank zu einer extrem prekarisierten Fraktion innerhalb der Klasse der Lohnabhängigen zu werden.

Die Große Koalition setzt auf die Fortführung des deutschen Wirtschaftsimperialismus, daran ändert auch die humanistische Rhetorik einzelner Kabinettsmitglieder nichts. Bereits die Vorgängerregierungen haben den anderen Volkswirtschaften buchstäblich den Wirtschaftskrieg erklärt. Statt auf Binnennachfrage konzentriert sich die deutsche Wirtschaft auf Exporte. Probatestes Mittel: niedrige Löhne. Diese Politik geht vor allem auf Kosten der südeuropäischen Staaten sowie Frankreich und Belgien: Außenhandelsüberschüsse führen zwingend zu Defiziten anderer Volkswirtschaften. Die nun beschlossenen Maßnahmen setzen die aggressive Standortpolitik fort – das deutsche Kapital soll weiterhin die Nase vorn haben.

Wäre es angesichts dessen nicht angebracht, nicht nur über Maßnahmen gegen die AfD nachzudenken? Nicht nur Parteitage können blockiert werden: Wie wäre es zum Beispiel mit dem Arbeits- und dem Innenministerium?

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Erschienen in ak – analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 616 / 24.5.2016.