Fluchtursache Waffenexport: Flüchtlingsinitiativen protestieren gegen deutsche Rüstungsunternehmen

Nicht nur bei Erholungssuchenden, Reisenden und Wassersportler_innen ist der Bodensee ein beliebtes Ziel. Auch Vertreter_innen der Waffenlobby und Militärs machen gerne mal einen Abstecher ins Alpenvorland, denn dort schlägt das Herz der deutschen Rüstungsindustrie. An keinem Ort in Deutschland versammeln sich so viele Rüstungsunternehmen. Fregatten, Panzer, Militärfahrzeuge, Raketen und vieles mehr wird dort entwickelt, gehandelt und/oder produziert.

Auf die Ansammlung deutscher Rüstungsexporteure versuchen Aktivist_innen der Initiative »Keine Waffen am Bodensee« seit Jahren aufmerksam zu machen. Obwohl Deutschland zu den vier größten Rüstungsexporteuren der Welt zählt, hält sich der Widerstand nicht nur in Deutschland insgesamt in Grenzen – auch am Bodensee stören sich nur wenige an den waffenschmiedenden Nachbarn. Jetzt bekam die Bewegung gegen die Rüstungsindustrie Unterstützung von Flüchtlingsaktivist_innen. Mitte August initiierten Flüchtlingsinitiativen aus Baden-Württemberg die Aktionstage »Fluchtursachen bekämpfen, Waffenexporte stoppen!«. Die Aktionstage stellten den Zusammenhang her zwischen dem lukrativen Geschäft mit Waffen und den Gründen, wegen derer sich Menschen gezwungen sehen, ihre Herkunftsländer zu verlassen. Rex Osa, einer der Initiator_innen der Kampagne, wehrt sich dagegen, dass Geflüchtete wie Kriminelle behandelt werden. »Nicht die Flüchtlinge sollen bekämpft werden, sondern die Fluchtursachen«, so Osa gegenüber ak.

Die Aktionstage richteten sich unter anderem gegen die Firma Advanced Technology for Military-Forces (ATM) in Konstanz, eine Tochter des Münchner Unternehmens Krauss-Maffei Wegmann (KMW). Das Unternehmen produziert den berühmten Leopard 2-Panzer, wovon es am liebsten mehrere Hundert Stück nach Saudi-Arabien verkaufen würde. Die Pläne liegen nach öffentlicher Debatte und Kritik von Seiten einiger KMW-Eigner_innen momentan auf Eis. Geklappt hat aber ein Deal mit Katar. Unter anderem 62 Leopard-2-Panzer umfasst der aktuelle Auftrag. Der Rüstungsdeal mit Katar hat einen Auftragswert von 1,89 Milliarden Euro und wurde im Vorfeld durch den Bundessicherheitsrat genehmigt.

Ein anderes Unternehmen, gegen das sich die Proteste richten, ist Diehl Defence aus Überlingen. Es ist ein Teilkonzern der Diehl-Stiftung. Diehl Defence stellt Munition für Mittel- und Großkaliber her – und Raketen. Mittlerweile hat das Unternehmen über 45.000 Luft-Luft-Raketen im Bereich des Familientyps Sidewinder hergestellt. Diehl Defence liegt mit einem Jahresumsatz von knapp 650 Millionen Euro im vergangenen Jahr im Ranking der deutschen Rüstungsunternehmen auf Platz vier. Dem Rüstungsexperten Jürgen Grässlin zufolge kamen Zünder von Diehl Defence auch in den Kriegen im Irak und in Afghanistan zum Einsatz. Weitere wichtige Produkte sind Handgranaten, Munition und Raketen. Für Grässlin handelt es sich bei Diehl Defence, nach dem Pistolenriesen Heckler & Koch, um das zweittödlichste Rüstungsunternehmen in Deutschland.

Rex Osa von der Flüchtlingsorganisation The Voice flüchtete im Jahr 2005 als politisch Verfolgter von Nigeria nach Deutschland. Mit den Aktionstagen möchte er nicht nur bei der breiten Bevölkerung Aufmerksamkeit für die Rüstungsindustrie erreichen. Die Aktionen richteten sich auch an die vielen Ehrenamtlichen, die momentan in Willkommensinitiativen Geflüchtete unterstützen. Viele von ihnen seien unpolitisch und würden sich unpolitische Flüchtlinge wünschen, so Osa. Fragen nach den Gründen für die Flucht würden entsprechend selten gestellt. Osa sieht daher auch die aktuellen Aufrufe der offizieller Politik, sich im Ehrenamt zu engagieren, mit Skepsis: »Es ist Teil der Strategie, von den eigentlichen Fluchtursachen abzulenken.« Auch die Ehrenamtlichen sollen sich mit den Fluchtursachen und den Profiteur_innen des weltweiten Kapitalismus auseinandersetzen. »Eine konkrete Unterstützung wäre es, wenn die Unterstützer dafür sorgen würden, dass aus Deutschland keine Waffen mehr exportiert werden. Waffen sind immer die Instrumente der Herrschenden«, so Osa.

Die Aktionstage am Bodensee verknüpften nicht nur das Thema Flucht mit der Rüstungsindustrie, sondern auch mit den konkreten Bedingungen, in denen sich Geflüchtete vor Ort wiederfinden. So wurde eine Flüchtlingsunterkunft besucht, die seit mehr als einem Jahr für ihre besonders schlechten Bedingungen von antirassistischen Initiativen kritisiert wird. Die Unterkunft befindet sich in Überlingen-Goldbach, nur wenige Kilometer vom Sitz von Diehl Defence entfernt.

Das Beispiel aus Baden-Württemberg zeigt, dass es Anknüpfungspunkte für Aktionen gibt, die Krieg, Kapitalinteressen und die Folgen für die Menschen verbinden. Die Rüstungsindustrie mehr in den Blick zu nehmen, bietet sich dabei an. Der Krieg ist ihr Geschäft, ihre Waffen die Mittel der Kriege, die viele dazu bringen, ihr Herkunftsland zu verlassen. »Auf die Ursachen aufmerksam zu machen, ist notwendig, damit sich unsere Situation verbessert«, sagt Osa. Individuelle Hilfe alleine würde nicht reichen, eine Politisierung der Flüchtlingsthematik sei daher geboten. Ein Anfang ist gemacht – es soll nicht bei der einen Aktion bleiben: »Die Kampagne endet nicht bei der Kritik an Waffenexporteuren, in Zukunft wollen wir auch den Klimawandel, multinationale Konzerne und weltweite Ausbeutung thematisieren.«

*

Erschienen in ak – analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis, Nr. 608, 15.9.2015.