Solidarität paradox: Streikunterstützung durch Bestellungen

Interview mit Mario Frank vom Streik-Solidaritätsbündnis Leipzig über den Arbeitskampf der Beschäftigten bei Amazon und den Konsumentenstreik.

Obwohl Beschäftigte seit drei Jahren immer wieder streiken, um Tarifverhandlungen zu erzwingen, versucht Amazon weiterhin den Arbeitskampf auszusitzen. Das Streik-Solidaritätsbündnis Leipzig möchte nun mit einem Streik der Konsument_innen den Druck von außen erhöhen.

Wie können Konsumentinnen und Konsumenten streiken?

Mario Frank: Wir rufen dazu auf, bei Amazon zu bestellen und die Pakete mit einer Solidaritätserklärung an die Beschäftigten zurückzusenden. Damit können wir den Beschäftigten in dem sehr harten und zähen Arbeitskampf den Rücken stärken. Außerdem ist es eine Möglichkeit, ökonomisch Druck zu erzeugen, denn die rückgesendeten Pakete bescheren Amazon eine unprofitable Zusatzarbeit. Das ist ganz bewusst kein Boykottaufruf. Ein solcher war den Streikenden zu heikel, denn innerhalb der Belegschaft ist es verbreitete Ansicht, ein Boykott gefährde Arbeitsplätze. Momentan sind die Fronten zwischen den streikenden und den nichtstreikenden Angestellten verhärtet. Wir wollen die Spaltung innerhalb der Belegschaft nicht vertiefen.

Gibt es ein Restrisiko für streikende Konsumenten, auf den Waren sitzenzubleiben?

Es besteht kein Risiko. Amazon hat sich vertraglich verpflichtet, bei einem Warenwert von über 40 Euro vollständig die Portokosten zu übernehmen und die Ware zurückzunehmen. Wer sich beteiligt, muss zunächst einmal das Geld überweisen, bekommt es dann aber wieder zurück. Man muss allerdings darauf achten, das Paket innerhalb der zweiwöchigen Widerrufsfrist zurückzusenden.

Eure Kampagne läuft seit einer Woche. Gibt es schon Rückmeldungen?

Uns erreichen gerade die ersten Nachrichten von Leuten, die uns Fotos von ihren Solidaritätserklärungen und ihren Rücksendungen schicken. Auch darüber hinaus gibt es positive Rückmeldungen. Es gab einige Artikel in linken Publikationen und positives Feedback in den sozialen Medien. Viele Menschen haben den Amazon-Streik solidarisch verfolgt und nach einer Möglichkeit der Beteiligung gesucht, die über irgendwelche Protestpostkarten an die Amazon-Geschäftsführung hinausgeht. Aber es ist noch deutlich Luft nach oben. Wir sind auf die Hilfe vieler Multiplikatoren angewiesen, die die Idee des Konsumentenstreiks in ihre Milieus und Gruppen tragen. Das ist ein auch ein Aufruf an die ak-Leserinnen und -Leser.

Wie geht die Unternehmensleitung mit Streiks und Solidarität von außen um: Gibt es Versuche, Stimmung gegen die kämpferischen Teile der Belegschaft und gegen euch zu machen?

Amazon behauptet immer, die Streiks würden keinen Schaden für das Unternehmen anrichten. In Wirklichkeit lassen sowohl die Streiks als auch unsere Solidaritätsaktionen Amazon alles andere als kalt. Als wir vor etwa zwei Jahren Flyer vor dem Amazon-Standort in Leipzig verteilt haben, hat Amazon bei den Vorarbeitern massiv Stimmung gegen uns gemacht. Sie behaupteten, wir würden die Arbeitsplätze der Beschäftigten zerstören. Auch als wir gemeinsam mit Streikenden kurzzeitig die Werkstore besetzt und Lastwagen gehindert haben, auf das Gelände zu fahren, hat Amazon versucht, einen Keil zwischen uns und die Betriebsgruppe zu treiben. Das Unternehmen hat offensichtlich Angst davor, dass es uns gelingt, aus der betrieblichen eine gesellschaftliche Auseinandersetzung zu machen.

Und gibt es auch direkte Reaktionen von Amazon auf die Streiks?

Amazon hat aktuell in allen neun Logistikcentern in Deutschland eine Anwesenheitsprämie angekündigt. Wer im Weihnachtsgeschäft zwanzig Tage am Stück arbeitet, also nicht krank ist, keinen Urlaub macht und nicht streikt, bekommt 200 Euro zusätzlich ausgezahlt. Das interpretieren wir als unverhohlenen Versuch, Streikende zu kaufen und Leute dazu zu bringen, krank zu arbeiten. Das zeigt, dass die Streiks der vergangenen Jahre entgegen der Konzernpropaganda etwas bewirkt haben, Amazon rechnet offensichtlich mit einem Streik, sonst hätten sie sich diese Abwehrmaßnahme nicht überlegt.

Ihr habt den Zeitpunkt nicht zufällig gewählt. Im Weihnachtsgeschäft stellt Amazon immer zusätzliche Personen als Streikbrecher an. Stimmt es, dass Amazon mittlerweile vermehrt Geflüchtete anwirbt?

Wir haben keine genauen Zahlen. Aber wir wissen von Genossinnen und Freunden aus den Flüchtlingsheimen, dass Amazon dort sehr präsent ist. Sie versuchen Geflüchtete für eine auf einen Monat befristete Aushilfstätigkeit anzuwerben. Amazon ist ein sehr gutes Beispiel dafür, wie die Eliten versuchen, die aktuelle Situation auszunutzen.

In der Vergangenheit haben häufiger indische Studierende als Saisonkräfte gearbeitet. Die meisten Saisonkräfte beteiligen sich nicht an Streiks, auch weil viele hoffen, in unbefristete Arbeitsverhältnisse übernommen zu werden, was fast nie passiert. Es kam damals zu relativ heftigen rassistischen Vorkommnissen in der Belegschaft gegenüber diesen indischen Saisonarbeitern. Das kann jetzt wieder passieren, wenn ein Verteilungskampf um Arbeitsplätze losgeht und die Belegschaft sieht, dass Geflüchtete als Streikbrecher eingesetzt werden.

Anfang Oktober fand im polnischen Poznan ein internationales Vernetzungstreffen für einen transnationalen Streik statt. (ak 609) In Poznan protestierten einige Wochen zuvor Beschäftigte für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen und solidarisierten sich mit den Streiks bei Amazon in Deutschland. Wie schaut es bei euch mit der internationalen Vernetzung aus?

Vertreter aus unserem Bündnis waren in Poznan dabei. Dass der Arbeitskampf gegen Amazon transnational koordiniert wird, ist meiner Meinung nach eine der zentralen Erfolgsbedingungen. Die drohende Standortkonkurrenz zwischen deutschen und polnischen Versandzentren könnte die Spaltung der Belegschaft in Streikende und Nichtstreikende verfestigen. In unserer regelmäßigen Streikkneipe versuchen wir gerade den internationalen Austausch zwischen den Belegschaften zu fördern. Wir planen gerade im Rahmen der Streikkneipe eine Veranstaltung mit Aktivisten der Basisgewerkschaft IP, die die Tarifauseinandersetzung in Poznan führen.

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Erschienen in analyse & kritik. Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 611 / 15.12.2015.