Empörung reicht nicht: Die Überausbeutung von Migrant_innen ist Kennzeichen eines rassistisch segmentierten Arbeitsmarkts

Von Sebastian Friedrich und Jens Zimmermann

Seit Jahren wird von beharrlich-nationalkonservativer bis flexibel-neoliberaler Seite darüber diskutiert, wie viele Migrant_innen denn nach Deutschland kämen, um auf der faulen Haut zu liegen. Das Fatale an der Diskussion: Auch manche Linke tappen in die Diskursfalle und lassen sich auf die herrschenden Koordinaten der Debatte ein, etwa wenn sie darauf verweisen, dass Migrant_innen unter dem Strich durchaus etwas »nützen«. Anstatt ebenfalls Kosten-Nutzen-Rechnungen ins Feld zu führen, sollten derartige Bilanzen besser in den Mülleimer geworfen werden. Ein Anker für einen Perspektivwechsel ist die Thematisierung von Arbeitsbedingungen überausgebeuteter Arbeitsmigrant_innen und Wanderarbeiter_innen in Deutschland.

Ein Fall aus Berlin, der vor Wochen für Aufsehen sorgte, ist hierfür exemplarisch: Der Bau des Einkaufszentrums »Mall of Berlin« wurde auch durch über Subunternehmen angestellte Arbeitskräfte aus Rumänien realisiert, die fünf Euro Stundenlohn erhalten sollten. Als selbst dieser spärliche Lohn nicht komplett bezahlt wurde, trat mit Unterstützung der FAU Berlin eine Gruppe der Arbeiter in den Streik. Der Arbeitskampf sorgte bundesweit für Aufsehen. Viele ähnliche Fälle mieser Arbeits- und Lebensbedingungen von Arbeitsmigrant_innen und Wanderarbeiter_innen sind in den vergangenen Jahren öffentlich geworden, nicht nur in der Bauwirtschaft, sondern auch im Care-Sektor, in der Fleischindustrie, in der Logistikbranche sowie in der Werftindustrie. Die Fälle sind sich sehr ähnlich. Die Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeitsmigrant_innen sind sehr prekär, da sie kaum Arbeitsschutz genießen und durch ausbleibende Lohnzahlungen werden die Reproduktionskosten meist unter das Existenzminimum gedrückt. Die durch kämpferische Streiks, solidarische Aktionen und engagierte Journalist_innen öffentlich gemachten Skandale sind allerdings keine bedauerlichen Einzelfälle. Vielmehr sind sie Ausdruck der spezifischen Ausbeutung von Migrant_innen im rassistisch segmentieren Arbeitsmarkt. „Empörung reicht nicht: Die Überausbeutung von Migrant_innen ist Kennzeichen eines rassistisch segmentierten Arbeitsmarkts“ weiterlesen

»Die müssen weg«: Autoritäre Armuts- und Migrationspolitik im Kontext aktueller Debatten um »Armutsmigration«

Von Sebastian Friedrich und Jens Zimmermann

Seit dem 1. Januar 2014 gilt in der Europäischen Union (EU) die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit auch für Bürger_innen der EU-Staaten Rumänien und Bulgarien. Kurz vor dem Jahreswechsel tauchte eine Beschlussvorlage für die Klausurtagung der CSU-Bundestagsabgeordneten im bayrischen Wildbad Kreuth auf, die eine Debatte um »Armutsmigration« auslöste. Die der Presse zugespielten Sätze des Papiers wurden auf der Klausurtagung dann auch im Kern beschlossen: Es gebe einen fortgesetzten Missbrauch der europäischen Freizügigkeit durch »Armutszuwanderung«, weshalb die CSU »falsche Anreize zur Zuwanderung« verringern wolle. Außerdem werde eine generelle Aussetzung des Sozialleistungsbezuges für die ersten drei Monate des Aufenthaltes in Deutschland geprüft und dem »Sozialleistungsbetrug« der Kampf angesagt. Die kurze Formel lautet: »Wer betrügt, der fliegt«. „»Die müssen weg«: Autoritäre Armuts- und Migrationspolitik im Kontext aktueller Debatten um »Armutsmigration«“ weiterlesen

Noise bei Pierburg (Rezension)

Ende August 1973 fand in den Ford-Werken in Köln-Niehl ein „wilder Streik“ statt. 300 türkeistämmige Arbeiter_innen sollten fristlos entlassen werden, weil sie verspätet aus dem Jahresurlaub kamen. Dagegen und gegen niedrige Löhne begehrten die Arbeiter_innen auf. Nachdem anfänglich deutsche Arbeiter_innen sich noch mit ihren Kolleg_innen solidarisierten, kippte nach wenigen Tagen die Stimmung. Serhat Karakayali (2005) resümiert, dass der Streik letztlich an der Spaltung in Deutsche und Ausländer gescheitert sei. „Werksleitung, Betriebsrat und Medien hatten es nach und nach geschafft, die ohnehin schon strukturell unterschiedlichen Interessen ideologisch zu verfestigen.“ Während der Ford-Streik durch die Erinnerungsarbeit von Aktivist_innen mittlerweile relativ bekannt ist, sind viele andere Kämpfe, die von Arbeitsmigrant_innen Anfang der 1970er Jahre geführt wurden, zunehmend in Vergessenheit geraten. So streikten im August 1973 nur wenige Kilometer entfernt von Köln in Neuss bei dem Autozulieferer Pierburg tausende Arbeiter_innen. Der nun von Dieter Braeg, einem damals beteiligten Aktivisten, herausgegebene Sammelband „Wilder Streik – das ist Revolution“ dokumentiert die Ereignisse um diesen Arbeitskampf in erster Linie anhand zahlreicher damals erschienener Texte, Interviews und Berichte.

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