»Ein wohlstandschauvinistischer Reflex« – Interview im Schweizer vorwärts

Deutschland erlebt derzeit eine Mobilisierung des rechten Spektrums. Im gerade publizierten Buch « Der Aufstieg der AfD – Neokonservative Mobilmachung in Deutschland » befasst sich Sebastian Friedrich* eingehend mit der Partei und beurteilt für den vorwärts die aktuellsten Entwicklungen in Deutschland.

Welche politische Zukunft siehst du für die «Alternative für Deutschland» (AfD)? Muss davon ausgegangen werden, dass sie in Zukunft eine Rolle spielen und sich etablieren wird?

Die AfD hat sehr gute Voraussetzungen, sich innerhalb des Parteienspektrums zu verankern, denn es gibt ein erhebliches Potential rechtskonservativ denkender Menschen in der Gesellschaft. MilieuStudien gehen davon aus, dass etwa ein Viertel der Bevölkerung dem konservativen Spektrum zuzuordnen. Der AfD kommt die rechte Repräsentationslücke zu Gute, die sich in den vergangenen Jahren in Deutschland aufgetan hat. Die CDU hat sich in gesellschaftspolitischen Fragen modernisiert und die FDP sich weitgehend aufgelöst. Trotz dieser Voraussetzungen ist die Zukunftsperspektive nicht in Stein gemeisselt. Ob sich die AfD etablieren wird, hängt wesentlich davon ab, wie das Jahr 2015 für die Partei verlaufen wird. Nach den Bürgerschafts-Wahlen in Bremen im Mai stehen erst einmal für einen längeren Zeitraum keine Wahlen mehr an. Ich gehe davon aus, dass nach den Bremen-Wahlen der Machtkampf innerhalb der AfD sich wieder neu entfachen wird. Momentan sieht es so aus, als hätten sich die Führungskader auf einen Waffenstillstand geeinigt, aber es ist äusserst zweifelhaft, ob angesichts der Intensität, mit der die Parteispitze in den vergangenen Wochen aufeinander losging, langfristig Frieden einkehren wird. Sollte es der AfD gelingen, die anstehenden Machtkämpfe bis Ende des Jahres ohne grossen Schaden und Spaltungen über die Bühne zu bringen, werden wir die Hoffnungen, dass sich das Problem AfD von selbst löst, wohl begraben müssen.

Zurzeit sorgt aber vor allem die Pegida für Schlagzeilen. Wie ist das Verhältnis zwischen einer AfD und der Pegida zu bewerten? Gibt es da inhaltliche und personelle Überschneidungen?

Es gibt auf jeden Fall Verbindungen zwischen der AfD-Spitze und der Pegida. So sind VertreterInnen der AfD-Spitze an den Montagdemos in Dresden anzutreffen und es gibt von der Führungsriege um Frauke Petry und Alexander Gauland immer wieder starke Sympathiebekundungen. Auch von Seiten der Pegida in Dresden werden trotz aller Bekundungen, parteienunabhängig zu sein, positive Signale in Richtung AfD ausgesendet. Im Januar fand zum Beispiel ein Gespräch zwischen Pegida und der AfD-Landtagsfraktion in Sachsen statt. Wir sind aber derzeit nicht nur mit der AfD und Pegida konfrontiert, sondern generell mit einer stärker werdenden rechten sozialen Bewegung. Neben Pegida gibt es allenorts Proteste gegen Flüchtlingsunterkünfte und etwa in Baden-Württemberg wird gegen eine Bildungspolitik protestiert, die sexuelle Vielfalt in der Schule thematisieren möchte. Die AfD bildet den parlamentarischen Arm der rechten sozialen Bewegung auf der Strasse. Hinzu kommt eine breite rechte Medienlandschaft, in der Zeitungen wie die «Junge Freiheit» und hoch frequentierte Internetseiten wie «Politically Incorrect» und «blu-News» die rechten Entwicklungen sehr wohlwollend begleiten. Diese Faktoren zusammen genommen deuten auf erhebliches Potential für ein rechtes Hegemonieprojekt hin. Dabei sind die verschiedenen Akteure durchaus miteinander verbunden, auch wenn sich offiziell voneinander abgrenzen.

Welche Rollen spielen bei den aktuellen Mobilisierungen rechte Hools oder eine NPD? Offenbar hat es auch bei den Pegida-Demos in Dresden viele Neonazis.

Während in vielen deutschen Städten das klassische extrem rechte Spektrum mit sehr mässigem Erfolg versucht die Pegida zu kopieren, ist die Dresdner Koordination nicht direkt dem Neonazi-Spektrum zuzuordnen. Zwar bestreitet die Pegida nicht, dass unter den DemoteilnehmerInnen sich auch Neonazis und rechte Hools befinden, anders als in anderen deutschen Städten lassen sich die Leute, welche hinter der Pegida in Dresden stehen, aber nicht einfach so dem extrem rechten Spektrum zuordnen. Die Bewegung ist in Dresden viel breiter als in anderen Städten.Wir erleben ja schon seit Jahren in Europa ein Erstarken der nationalkonservativen Kräfte.

Ob jetzt in der Schweiz, Österreich, Frankreich oder Ungarn. Ist es von daher nicht logisch, dass irgendwann auch in Deutschland eine Partei rechts der Mitte entsteht?

Der grosse Unterschied zu den europäischen Rechten ist, dass wir in Deutschland erstmals seit den 60er Jahren eine übergreifende Organisierung des rechten politischen Spektrums erleben. Bis vor wenigen Jahren konnten rechte Positionen weitgehend durch die Unionsparteien, die FDP und zum Teil auch durch die SPD absorbiert werden. Man kann sagen, dass es in Deutschland über Jahrzehnte keine explizit rechte Partei brauchte, weil sowohl der parteienpolitische als auch der mediale Mainstream dieses Spektrum mit abdeckte. Dieser Konsens wurde nun aufgekündigt.

Wo siehst du Möglichkeiten, dieser neuen rechten sozialen Bewegung etwas entgegen zu setzen? Welche Perspektiven siehst du da?

Kurzfristig ist es notwendig, der Bewegung auf der Strasse zu begegnen und zu versuchen, die Aufmärsche zu verhindern. Das ist wichtig, damit der rechten sozialen Bewegung die Gelegenheit der Entwicklung einer gemeinsamen rechten Identität genommen wird, die schnell auf Grundlage gemeinsamer Erfolge und Erfahrungen entstehen kann. Die kulturelle und identitäre Wirkung solcher Aufmärsche nach innen darf nicht unterschätzt werden, zumal es sich bei den Pegida-DemonstrantInnen weitgehend um Menschen handelt, die noch nie oder schon lange Zeit nicht mehr ihre Anliegen auf die Strasse getragen haben. Daneben müsste es darum gehen, mittel- und langfristige Strategien zu entwickeln. Wir müssen uns mit den Themen auseinandersetzen, an die AfD, Pegida und Co. anknüpfen. Das heisst nicht, dass wir irgendwelche «Sorgen» und «Ängste» ernst nehmen müssen. Wir müssen uns aber fragen, warum linke Perspektiven so sehr in den Hintergrund gerückt sind. Die Linke in Deutschland ist gefordert, ihr eigenes Profil zu stärken und beispielsweise eine linke Kritik an der EU zu formulieren. Nur allzu oft wird auch in linken Kreisen auf eine deutliche Kritik verzichtet, um nicht in Verruf zu geraten, nationalistische Positionen zu vertreten.

Wer wählt eine AfD und marschiert für die islamfeindliche Pegida? Wer trägt diese neue soziale Bewegung von rechts?

Anhand von aktuellen Umfragen wissen wir, dass der typische Anhänger dieser Bewegung in der Regel männlich, unter 45 Jahre und Arbeiter oder selbständig ist. Er verfügt über ein überdurchschnittliches Einkommen und kommt aus der Mittelschicht. Und er hat eine erhebliche subjektive Angst vor dem sozialen Abstieg. Studien belegen, dass die Mittelschicht tatsächlich in den vergangenen Jahrzehnten erheblich geschrumpft ist. Diese Ängste haben also durchaus einen Bezug zur Realität. Das Problem ist, dass diese Ängste sich gerade in reaktionärer Weise im Sinne eines sozial- und wohlstandschauvinistischen Reflexes artikulieren. Dass dies so ist, hat viele Gründe. Die neoliberale Ideologie, die auf Wettbewerb, Marktfundamentalismus und Individualismus setzt, dürfte hier deutliche Spuren im Bewusstsein der Menschen hinterlassen haben. Linke müssen sich aber auch fragen, warum Ansätze der Krisenverarbeitung anscheinend gerade nicht vor dem Hintergrund von Solidarität und Kooperation verlaufen.

Wie wird sich die Pegida-Bewegung in den nächsten Wochen entwickeln? Wird es ihr gelingen auch ausserhalb von Dresden Fuss zu fassen?

Ich denke nicht, dass es Pegida schaffen wird, ausserhalb von Dresden bedeutende Akzente zu setzen. Auch in Dresden wird es irgendwann schwierig werden, über Monate hinweg die aktuelle Mobilisierungskraft beizubehalten. Die Pegida wird sich aber vielleicht in irgendeiner Weise institutionalisieren und weiterleben. Davon unabhängig gehe ich von einem besorgniserregenden Effekt aus: Beachtliche Teile des rechten Spektrums sind nun mobilisiert. Der vielleicht auch nur vorrübergehende Erfolg von Pegida, über Monate hinweg die öffentliche Debatte zu dominieren, dürfte motivierend sein, beim nächsten Anlass wieder auf die Strasse zu gehen. Ich halte deshalb für möglich, dass wir den Wellenkamm der rechten Mobilisierungswelle noch gar nicht erreicht haben.

Tatsächlich wird aber selbst in einer emanzipatorischen Linken selten zwischen Islam und Islamismus differenziert und es existieren gewisse Berührungsängste und Schwarz-Weiss-Bilder in den Köpfen. Wie ist das zu erklären?

In Deutschland haben wir seit fünfzehn bis zwanzig Jahren einen ausgeprägten antimuslimischen Diskurs, der schon vor dem 11. September existierte und an dem sich auch gewisse Strömungen der radikalen Linken beteiligten. Auch in Zusammenhängen, die sich selbst als linksradikal verstehen, wurden und werden rassistische Tendenzen deutlich, wenn etwa nicht zwischen unterschiedlichen Strömungen des Islams unterschieden wird oder nicht konkrete religiöse Praktiken in den Blick genommen werden, sondern aus irgendwelchen Textstellen des Korans abgeleitet wird, dass Muslime frauenfeindlich seien. Lange Zeit gab es auch in Teilen der Linken keine Auseinandersetzung mit antimuslimischem Rassismus. Ich habe allerdings die Beobachtung gemacht, dass gerade in jüngerer Zeit die Bereitschaft innerhalb mancher Kreise der Linken wuchs, sich vermehrt mit dem Thema zu beschäftigen. Und es gibt auf jeden Fall ein erhebliches Defizit an einer richtig verstandenen linken Religionskritik. Diese sollte sich aus meiner Sicht nicht daran beteiligen, das Opium des Volkes zu verbrennen, sondern die sozialen Verhältnisse in den Blick nehmen, die das Opium so beliebt machen. Ein kluger Bartträger aus dem 19. Jahrhundert schrieb dazu mal: «Die Forderung, die Illusionen über seinen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusionen bedarf».

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Erschienen im Schweizer vorwärts, 30.01.2015.