AfD: Provokation mit System

Alle großen Wahlforschungsinstitute sehen die AfD derzeit bei zehn bis zwölf Prozent. Ungünstigerweise finden am 13. März drei Landtagswahlen statt. Die Forschungsgruppe Wahlen sieht die Rechtspartei in Baden-Württemberg aktuell bei elf, in Rheinland-Pfalz bei neun, in Sachsen-Anhalt gar bei 15 Prozent.Langsam wird es Gewissheit: Erstmals seit Gründung der Bundesrepublik etabliert sich eine Partei rechts der Unionsparteien. Sowohl Bürgerliche als auch Linke suchen noch nach dem richtigen Umgang mit dieser neuen Situation. Die Rechtspartei braucht nur zu zucken – und die von ihr attackierten Medienvertreter_innen (»Lügenpresse«), Politiker_innen (»Altparteien«) und direkten Gegner_innen (»Gutmenschen«) geraten in Panik.

So geschehen am letzten Januarwochenende. Die regionale Tageszeitung Mannheimer Morgen veröffentlichte ein Interview mit der Parteivorsitzenden Frauke Petry. Sie sagte, die Grenzpolizei müsse illegale Grenzübertritte verhindern und »notfalls auch von der Schusswaffe Gebrauch machen«. Kurz darauf legte die stellvertretende AfD-Vorsitzende Beatrix von Storch nach. Auf ihrer Facebookseite bejahte sie die Frage, ob Frauen und Kinder auch mit Waffengewalt am Grenzübertritt gehindert werden sollten. Daraufhin blies Petry und Storch vor allem in der öffentlichen Debatte heftiger Gegenwind entgegen. Die Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, und der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel forderten die Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz, und selbst der CDU-Rechte Wolfgang Bosbach bezeichnete die Schusswaffenforderung als »völlig absurd«. In den Tagesthemen verglich ARD-Chefredakteur Rainald Becker die Medienstrategie der AfD mit der Propaganda der Nazis vor der Machtergreifung. Die Forderung des Schusswaffengebrauchs sei »krank, gewissenlos, abscheulich«.

Petry und von Storch ruderten anschließend zurück. Petry beklagte, der Mannheimer Morgen habe ihre Worte sinnenstellt wiedergegeben, von Storch distanzierte sich in drei Schritten: Zunächst schränkte sie ein, es sollte doch nicht auf Kinder, sondern lediglich auf Frauen geschossen werden. Dann behauptete sie, ihr Facebook-Kommentar sei auf ein Ausrutschen der Computermaus zurückzuführen. Schließlich – eineinhalb Wochen später – bezeichnete sie ihr Posting als Fehler.

Trotz aller Dementis und Kritik dürften sich Petry und Storch ziemlich genau an die Medienstrategie der AfD gehalten haben. Kurz vor den Landtagswahlen lautet das Credo: Die AfD muss um jeden Preis im Gespräch gehalten werden. Die Schusswaffen brachten den erwünschten Effekt: Die Partei war Topthema auf den Nachrichtenseiten und in den Fernsehsendungen – mal wieder. Seit Wochen dreht sich in den Polittalkshows alles um die AfD. Meist ist dabei die Partei selbst das Thema. Weder die offensive Auseinandersetzung noch die Schießbefehl-Debatte schadeten der Partei. Im Gegenteil: In Umfragen konnte sie noch einmal zulegen. Offensichtlich lassen sich die AfD-Sympathisant_innen nicht mehr abschrecken durch Kritik an ihrer Lieblingspartei. Mehr noch: Mit jeder neuen Auseinandersetzung, die die Partei selbst zum Thema macht, kann die AfD ihren Bekanntheitsgrad steigern. Sie schielt dabei vor allem auf die Nichtwähler_innen.

Das ständige Reden über die AfD und ihre Forderungen nutzt der Partei nicht nur in demoskopischer Hinsicht. Indem alle auf die AfD reagieren und die Partei somit die Diskussionen vorstrukturieren kann, verschiebt sich die Debatte um Flüchtlinge und Einwanderung immer weiter nach rechts. Von Tagesschau über FAZ bis BILD dominierte Ende Januar allen Ernstes die Frage, ob es eigentlich legal ist, auf Flüchtlinge zu schießen. So gelingt es der AfD, sagbar zu machen, was noch vor Monaten unmöglich gewesen wäre. So treibt sie die anderen Parteien vor sich her. Bis in Teile der Linkspartei versucht man, der AfD damit das Wasser abzugraben, indem man ihre Forderungen wiederholt. Die rechte Diskursmaschinerie läuft auf Hochtouren: Die AfD rennt mit ihren Vorstößen einst geschlossene Türen ein, entschuldigt sich anschließend dafür, doch das Schloss ist erst einmal kaputt, die Tür bleibt offen.

Ein weiteres Problem: Der Fokus auf die AfD und die Themen, die sie setzt, lenkt ab von der ohnehin schon mörderischen Politik der Bundesregierung. Zwar sterben an den deutschen Grenzen bisher keine Menschen, doch die erweiterte deutsche Grenze, die EU-Außengrenze, ist immer noch ein Massengrab für Migrant_innen und Flüchtlinge. Was im Sommer selbst konservative Tageszeitungen empörte, ist in der Öffentlichkeit längst in Vergessenheit geraten: In den vergangenen Jahren sind mehrere Zehntausend Menschen auf dem Weg nach Europa ums Leben gekommen. Ganz ohne Schießbefehl. Und es war auch nicht die AfD, sondern die Bundesregierung, die mehrere Asylrechtsverschärfungen auf den Weg brachte. (ak 609)

Nicht nur bürgerliche Journalist_innen und Parteipolitiker_innen grübeln darüber, wie mit der sich etablierenden Rechtspartei umgegangen werden soll. In vielen Städten gründen sich gerade zivilgesellschaftliche »Kampagnen gegen rechts« und linksradikale Aktionsbündnisse. Offen bleibt, was im Zentrum lokaler und vielleicht auch bundesweiter Gegenmobilisierungen stehen soll. Viele der Initiativen konzentrieren sich auf die AfD, ihre Ideologie und ihre Akteure. Das ist zum einen notwendig, denn die AfD ist ein Versuchslabor, in dem verschiedene rechte Strömungen von christlichen Fundis über völkischen Kulturkämpfer_innen bis zu radikalen Neobliberalen an einem gemeinsamen Projekt arbeiten. (ak 602) Doch die AfD ist nicht nur Motor, sondern auch Ausdruck einer erfolgreichen rechten Formierung – von der sich zunehmend Menschen angesprochen fühlen.

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Erschienen in ak – analyse & kritik. Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 613 / 16.2.2016.