Ein Narzisst als Manager des Empire: Ingar Solty über Donald Trumps politische Projekte (Interview)

Nach dem Sieg Donald Trumps stellt sich die Frage, was vom 45. Präsidenten der USA zu erwarten ist. Wir haben dazu den Sozialwissenschaftler und USA-Experten Ingar Solty befragt.

Trump hat im Wahlkampf gegen alle möglichen Minderheiten gehetzt. Ziemlich weit oben auf seiner Liste: Migranten, Migrantinnen und Muslime. Wie wird die Einwanderungspolitik unter seiner Präsidentschaft aussehen?

Ingar Solty: Die gegen Einwanderung aus Mexiko und Zentralamerika gerichtete »Amerikanische Mauer« (so der ehemalige mexikanische Präsident Vincente Fox), die ja eigentlich schon seit George W. Bush existiert, wird nicht gebaut werden, sie ist letztlich eine Illusion, eine Schimäre. Aber zu rechnen sein wird mit der Verfolgung der zwölf Millionen undokumentierten Arbeiterinnen und Arbeiter, weil das Trumps Basis von ihm erwartet – und sei es auch nur durch einen Ausbau der Polizei, verschärfte Razzien, spektakuläre Einzelabschiebungen und die Verkündung von Abschiebezahlen. Gleichzeitig ist hier Konfliktpotenzial eingelagert, weil das Kapital, vor allem das Agribusiness, aber auch die Bauindustrie, diese rechtlosen Arbeiterinnen und Arbeiter für die Überausbeutung bei der Erntearbeit und auch auf den Großbaustellen braucht. Zugleich wird sich der antimuslimische Rassismus intensivieren – insbesondere bei Terroranschlägen und Trumps zu befürchtenden Überreaktionen. Hier hat er zwar auch – denken wir an die Ankündigungen von möglichen Befehlsverweigerungen aus dem Pentagon – mit Widerstand zu rechnen. Gleichwohl versammelt Trump Teile der Staatsapparate hinter sich, und auch die Republikanische Partei vereint sich ja momentan wieder hinter ihm.

Was sind Trumps wichtigste politische Projekte, was wird er als erstes angehen?

Trumps wichtigstes politisches Projekt ist Donald Trump. Bei ihm handelt es sich letztlich um einen kranken Mann. Sein Narzissmus – eine psychologisierende Kategorie, vor der man als Sozialwissenschaftler ja generell zurückschreckt, die aber hier ihre Berechtigung hat – hat bisher dazu geführt, dass er überall, so wie ein Hund sein Revier markiert, seinen eigenen Namen hinterlassen hat, etwa an den Trump Towers. Die Präsidentschaft, das höchste Staatsamt im mächtigsten Land und Imperium der Erde, ist für ihn Prestige. Er will nicht nur als Reality-TV-Personality, Immobilienkapitalist und Autor von »Selbsthilfeliteratur« schlechtester Qualität in die Weltgeschichte eingehen, sondern als politischer Akteur. Postfaktische Politik oder Trumpism heißt, dass vieles von dem, was er betonte, Wahlkampfrhetorik ist (wie z.B. seine »linken« Positionen gegen den Freihandel und das US-Empire), um, getragen von der Anti-Establishment-Stimmung, an die Macht zu gelangen. Dass ihm das wirklich gelungen ist, bezeugt die Tiefe der Krise des politischen Systems in den USA. Von diesen Forderungen wird er nichts durchsetzen können oder überhaupt wollen; im Unterschied zu seinen Steuersenkungsplänen für die Reichen, die kompatibel sind mit den Interessen des transnationalisierten Machtblocks in den USA.

Was ist in Sachen Außenpolitik unter einem Präsidenten Trump zu erwarten?

Trump hat, wie gesagt, die imperiale Politik der USA scharf kritisiert: Die acht Billionen US-Dollar, die der »Krieg gegen den Terror« bislang gekostet hat, hätten doch besser in die Infrastruktur der USA investiert werden können. Natürlich ist auch das eine taktische Rhetorik, weil dieser Krieg sehr unpopulär ist. Zugleich ist er damit »linker« als Clinton, die das Scheitern der US-Politik im arabischen Raum zwar auch sieht, aber eigentlich der Auffassung ist, dass man nicht aggressiv und militaristisch genug agiert habe. Trotzdem wird Trump wohl ein verlässlicher Partner in der gemeinsamen Verwaltung des Empire. Schon jetzt wird er von innen als auch von ausländischen Mächten eingehegt, indem man ihn, den man bislang verbal als Faschisten bekämpfte, jetzt als legitimen Präsidenten bezeichnet, mit dem man vertrauensvoll zusammenarbeiten werde. Von daher ist zu erwarten, dass Trump – als politisch schwacher und um Anerkennung buhlender Präsident – sich fügen und ein verantwortungsbewusster Manager des Empire werden wird. Gleichwohl will man nicht wissen, wie er – im erklärten Bündnis mit Russland – gegen den IS agieren wird, den er schon mit Atomwaffen und mit noch mehr Folterpraxis als Bush bekämpfen wollte. Man möchte nicht wissen, wie Trump agieren könnte, wenn es einen neuen islamistischen Anschlag in den USA gibt, nachdem er bei dem letzten, begangen von einem in den USA sozialisierten und radikalisierten Muslim, einen Einreisestopp für alle 1,4 Milliarden Muslime auf der Welt forderte.

Trump setzte im Wahlkampf auf eine protektionistische Wirtschaftspolitik. Ist eine solche überhaupt umsetzbar?

Nein, denn ihm fehlt dafür die soziale Basis. Trump ist kein Paläokonservativer wie etwa der mehrfache Präsidentschaftskandidat Patrick Buchanan, der von dieser Position aus eine Globalisierungskritik im Interesse des binnenorientierten Kapitals und global schlecht wettbewerbsfähigen Kleinbürgertums führte. Der Protektionismus diente ebenfalls letztlich dem Wahlsieg, weil die Leute nach 22 Jahren NAFTA-Erfahrung und nach gut zehn Jahren CAFTA-Erfahrung genug haben vom Freihandel, gerade in den bevölkerungsreichen Industriestaaten des Mittleren Westens, denen Trump letztlich seinen Wahlsieg verdankt.

Was ist innerhalb der Republikaner zu erwarten? Die religiöse Rechte dürfte sich mit Trumps Vize Mike Pence gut vertreten fühlen, doch was ist mit dem wirtschaftsliberalen Flügel? Wird er sich gegen Trump stellen?

Der unfromm lebende und wie ein Rohrspatz fluchende neuenglische Milliardär Trump ist kein christlich-fundamentalistischer Kandidat. Seine Basis ist klein. Er erhielt weniger Stimmen als vor ihm John McCain oder Mitt Romney. Er hat die Wahl nicht gewonnen, das neoliberale Clinton-Establishment hat sie verloren, weil sie der breiten Bevölkerung keinerlei Hoffnungen auf eine Verbesserung der Lebensumstände in der Krise versprechen konnte, sondern ihre Botschaft war: I may be a corrupt opportunist out-of-touch Wall Street candidate, but at least I’m not Donald Trump. Während Trumps Botschaft eben war: Ich mag zwar ein rassistisches, sexistisches Arschloch sein, aber immerhin bin ich nicht oder erscheine ich nicht als Teil des Establishments. Der wirtschaftsliberale Flügel, der zwischenzeitlich mit den außenpolitischen Hardcore-Imperialisten – viele Neocons aus der Bush-Administration – zu Clinton gewandert war, robbt jetzt zurück. And Trump will welcome them!

Viele Linke meinten, ein demokratischer Kandidat Sanders hätte die Wahl gegen Trump wohl gewonnen. Stimmt das? Und wenn ja: Welche Schlüsse werden die Demokraten daraus ziehen?

Antwort auf Frage 1: Natürlich, zweifellos. Antwort auf Teilfrage 2: Nein, lieber geht diese Bande unter als anzuerkennen, dass sie Fehler gemacht hat. Alle Umfragen besagten, dass die Wahrscheinlichkeit einer Trump-Präsidentschaft nur gegen Clinton hoch war, während Sanders mit seiner solidarischen Alternative Trump erdrutschartig geschlagen hätte. Dennoch hat das Partei-Establishment alles versucht, seine Kampagne entgleisen zu lassen – und das erfolgreich. Die Massenmobilisierung an der Basis hat die Partei fast unbeschadet überstanden: Nur ein Senator und acht Abgeordnete des Repräsentantenhauses sprachen Sanders ihre Unterstützung aus. Hinzu kommt, dass mit dem Überlaufen der gesamten ökonomischen und (außen-)politischen Elite die Partei ebenso wie die Sanders-Massenbewegung ja wirklich in dem Dilemma war, dass sie oben die Partei des einen Prozents war, die unten von der Bewegung der 99 Prozent unter Druck gesetzt wurde. Sie kann nur eines sein. Aber vorerst wird eine Corbyn-artige Machtübernahme der Partei im Interesse der lohnabhängigen Mehrheit nicht stattfinden, sondern sie setzt die Mobilisierung einer Arbeiterbewegung und Sozialbewegung gegen Trump voraus. Das Partei-Establishment – inklusive der »linken« Ikone Elizabeth Warren – setzt aber auf »vertrauensvolle Zusammenarbeit« in den Institutionen. Von da ist keine Erneuerung zu erwarten.

In den vergangenen Jahren spitzen sich soziale Widersprüche in den USA zu. Auch linke Protestbewegungen unterschiedlicher Herkunft verspüren Auftrieb. Werden sie in Opposition zu Trump davon profitieren und sich weiter festsetzen, oder drohen sie stattdessen in einem Bündnis mit dem liberalen Establishment, das sich eventuell gegen Trump formiert, unterzugehen?

Das neoliberale Establishment hat sich bei dieser Wahl faktisch selbst zerstört. Es mag die Kanäle der Macht in der Partei kontrollieren, aber »auf der Straße« ist ja offensichtlich geworden, dass nicht nur eine Kampagne wie die von Sanders auch ohne Geld von Banken und Konzernen möglich war, sondern auch, dass alle Argumentationen für das Kleinere Übel hinfällig sind, dass der Trumpismus nur mit einer solidarischen Alternative von links zu stoppen sein wird. Diese wird sich aus der Sanders-Bewegung speisen. Sanders wird der parlamentarische Oppositionsführer dieser außerparlamentarischen Bewegungen sein. Clinton und ihre Gefolgsleute – wer soll die noch ernst nehmen?

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Erschienen in analyse & kritik. Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 621 / 15.11.2016.