Hoffnung bei der Partei der Hoffnungslosigkeit. Ein Bürokrat aus dem Bilderbuch: Die SPD feiert Martin Schulz

Die Hoffnung hat einen Namen: Martin Schulz. Seitdem Sigmar Gabriel Ende Januar den ehemaligen EU-Parlamentspräsidenten als Kanzlerkandidaten für die Bundestagswahl vorgeschlagen hat, werden bei der SPD massenhaft Endorphine ausgeschüttet. Wo Schulz auftritt, betont er, das mutlose Weiter-so beenden und Kanzler werden zu wollen. Auch diverse Medien stürzen sich auf den unverbraucht erscheinenden Langzeitpolitiker. Der Spiegel (7/2017) sieht eine »Wendezeit« heraufziehen, Schulz »belebt die Demokratie, macht Leuten Lust auf die SPD«. Endlich mal einer, der richtig Machthunger hat, es richtig wissen will; einer, der auch mal auf den Bürokratensprech verzichtet, wenn ihm eine Kamera vors Gesicht gehalten wird; einer, den die Menschen mögen – und einer, der sogar auch bei Frauen gut ankommen soll. Wie erfrischend plötzlich ein Mann mit dem Charme und dem Sexappeal eines Staubsaugervertreters daherkommen kann, wenn alles andere so muffig ist.

Auch das Internet liebt Schulz. Durch die sozialen Medien rast – angelehnt an einen ähnlichen Internethype um Donald Trump – der Schulzzug. Er soll den hemdsärmeligen Rheinländer ungebremst ins Kanzleramt bringen. Unzählige Fotomontagen kursieren, auf denen Schulz – halbironisch, halbzärtlich – als eine Mischung aus Jesus, Terminator und Superman zu sehen ist. Das beliebteste Meme, das in diesen Tagen kursiert: Schulz‘ Konterfei, Obamaesk blau-rot unterlegt, darunter vier Buchstaben: Nicht HOPE, sondern MEGA: »Make Europe Great Again!« Der Medienstar Schulz wirkt sich positiv auf die Umfragewerte für die Sozialdemokratie aus. Eine Mehrheit der Deutschen wünscht sich ihn als Kanzler, die SPD steht erstmals seit Jahren bei etwa 30 Prozent und kommt sogar an die Union heran.

In der SPD betet man nun, dass sein Stern nicht so schnell verglüht – braucht man doch dringend einen Hoffnungsträger, wenn schon die eigene Politik nicht mehr als verwaltete Hoffnungslosigkeit ist. Für eine solche Politik steht auch Schulz. Er ist seit 1999 Mitglied des SPD-Parteivorstandes und Mitglied des Parteipräsidiums – und hat da Schröders neoliberale Politik mitgetragen. Der Zentrist, der gerne zwischen rechtem und rudimentär vorhandenem linken Flügel vermittelt, ist ansonsten bisher wenig durch sozial- und wirtschaftspolitische Positionierungen aufgefallen.

Den Menschen gilt er vor allem als Kämpfer für Europa. Doch als EU-Funktionär hat er in Straßburg und Brüssel ebenfalls eine Politik der Hoffnungslosigkeit vorangetrieben. Zwar hat er sich hier und da für die Einführung von EU-Anleihen mit gemeinsamer Haftung (»Eurobonds«) eingesetzt, doch als SYRIZA zu aufmüpfig wurde, hat er den harten Hund gegeben. Er, der »große Europäer«, ist ein heißblütiger Verfechter des deutschen Exportmodells. Die Agenda 2010 sei richtig gewesen. Richtig findet er also auch: die anderen europäischen Volkswirtschaften durch deutsche Handelsbilanzüberschüsse in eine Dauerkrise zu treiben. Näher als anderen europäischen Sozialdemokrat_innen ist dem »leidenschaftlichen Europäer« die deutsche Standortlogik, die auch hierzulande millionenfach Menschen im Niedriglohnsektor strampeln lässt.

Gerade Letzteres sollte nicht zu sehr betont werden im Wahlkampf, das weiß auch Schulz, deshalb versucht er, kritische Fragen zur Agenda-Politik zu umschiffen, und redet lieber in Dauerschleife von »den hart arbeitenden Menschen in Deutschland«, die wieder im Mittelpunkt stehen sollen – oder dröhnt von Null-Toleranz-Politik gegenüber Straftätern.

Diejenigen, die von Rot-Rot-Grün auf Bundesebene träumen, müssen wissen: Auch mit der fleischgewordenen Hoffnung auf Nichts wird aus der SPD in absehbarer Zeit keine sozialdemokratische Partei. Im Gegenteil: Der Hype um Schulz und ein möglicherweise gutes Wahlergebnis verhindern vielleicht sogar eine kritische Aufarbeitung der Schröder-Jahre und damit eine Erneuerung der deutschen Sozialdemokratie.

*

Erschienen in ak – analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 624 / 14.2.2017.