Konflikt statt Konsens: Gegen einen Kompromiss zwischen Rassismus und »Willkommenskultur«

Fast täglich brennt eine Flüchtlingsunterkunft, Bürger_innen, Neonazis und Hooligans stehen Schulter an Schulter und brüllen »Ausländer raus«, Flüchtlinge werden auf offener Straße beschimpft, bespuckt, geschlagen. Nach Sloterdijk, Sarrazin, AfD und Pegida ist momentan der militante Flügel der sich formierenden Rechten in Deutschland am Zuge. Zeitgleich unterstützen Willkommensinitiativen Geflüchtete mit Kleidung, Nahrung und Spielsachen. Als jene, die wochenlang in Ungarn für Bewegungsfreiheit kämpften, an deutschen Bahnhöfen ankamen, gingen viele von ihnen durch eine Traube klatschender Menschen. Die breite Front der Hilfsbereiten umfasst auch jene Teile des Bürgertums, das sich modernisiert, das Deutschland als Einwanderungsland akzeptiert hat. Die Hilfsbereiten entdecken aus ganz unterschiedlichen Motiven – und sei es, weil es gerade angesagt ist – so etwas wie Empathie. Auch Wirtschaftsverbände zeigen sich offen und liebäugeln mit möglichen neuen Fachkräften, nicht um dem angeblichen Mangel entgegenzuwirken, sondern um die Konkurrenz zwischen Arbeiter_innen und Angestellten zu verschärfen. Hinzu kommt: Das Image der Bundesregierung war nach dem offensichtlich gewordenen Diktat im Schuldenstreit mit der griechischen Regierung im Eimer, nun können Merkel und Co. zeigen, dass sie auch im positiv verstandenen Sinne Verantwortung übernehmen können. Es ist bereits von »Willkommenspatriotismus« die Rede.

All dies zeigt: Wir befinden uns mitten in einem offenen gesellschaftlichen Konflikt. Ein Konflikt, der unauflösbar scheint: Wie soll zwischen »Ausländer raus« und »Flüchtlinge willkommen« ein Kompromiss hergestellt werden?

Doch es gibt sie, die Versuche eines Kompromisses. Der liegt vielleicht näher als in der momentanen Euphorie ersichtlich. Den Einheizer macht Horst Seehofer mit seinem Sonderlager für »Balkanflüchtlinge«, das bereits eröffnet wurde. Auch wenn viele andere Bundesländer solche Lager ablehnen und sich die CDU gerade ein wenig offener zeigt als die CSU, ist Seehofer letztlich lediglich der »bad cop« einer gemeinsam agierenden Einheit. Auch wenn es im Beifall untergeht, gilt weiterhin: Deutschland hat sich wesentlich für die Dublin-Verordnungen eingesetzt, die es einer großen Zahl der Flüchtlinge unmöglich machen sollen, in Deutschland Asyl zu erhalten. Ebenso bleibt politisches Ziel der Bundesregierung: Diejenigen, die »ohne Bleibeperspektive« sind, sollen schnell wieder gehen – andernfalls werden sie gegangen. Dass Geflüchtete aus den Balkanstaaten keine Bleiberechtsperspektive haben, wird mitunter mit heuchelndem Bedauern ausgesprochen, als wäre die Tatsache eine nicht zu ändernde Naturkatastrophe. Dabei ergibt sich die fehlende Perspektive aus dem politischen Willen, bestimmte Länder zu »sicheren Herkunftsstaaten« zu erklären. »Wirtschaftsflüchtlinge« gelten weiterhin als unerwünscht, egal woher sie kommen. Diese Trennung zwischen »wahren« und »falschen« Flüchtlingen dürften auch viele von denen richtig finden, die gerade klatschen und helfen. Dagegen, dass nach Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina nun auch Albanien, Kosovo und Montenegro zu »sicheren Herkunftsstaaten« erklärt werden sollen, regt sich kaum Widerstand.

Dennoch ist die aktuelle Situation offener denn je. Selten befanden sich die Gegner_innen der Bewegungsfreiheit so sehr in der Defensive. Es hieß in der Vergangenheit häufig, wenn mehr als 100.000 Flüchtlinge pro Jahr kämen, würde die Stimmung kippen, seien die »Belastungsgrenzen« erreicht. Allein im August wurde diese Zahl erreicht, und ja, die Stimmung kippt, zum großen Teil kippt sie aber in unerwartete Richtung. Die Fluchtursachen, von denen kaum die Rede ist, in den Blick zu nehmen, die Aufspaltung in erwünschte und unerwünschte Geflüchtete offensiv anzugreifen, die Rolle Deutschlands bei der Etablierung des rigiden Asylregimes zu skandalisieren sowie die Interessen der Bundesregierung und der Wirtschaftsverbände zu kritisieren, sind Möglichkeiten, den aktuellen gesellschaftlichen Konflikt zu politisieren.

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Erschienen in ak – analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis, Nr. 608, 15.9.2015.