Die Betriebsratswahlen in Deutschland enden in wenigen Wochen – doch schon jetzt können die Rechten sie für sich als Erfolg verbuchen. Mit einer professionellen Kampagne hat das rechte Netzwerk „Ein Prozent“ für „patriotische“ Listen bei den Wahlen geworben. Der Erfolg dieser Kampagne lässt sich nicht einfach an den Mandaten ablesen – bundesweit dürften sie knapp 100 von insgesamt 200.000 Sitzen gewinnen. Erfolgreich war die Kampagne vor allem darin, die mediale Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Keine überregionale Zeitung ist an der Initiative vorbeigekommen.
Diese neuen Töne erschrecken viele Linke in Deutschland – insbesondere angesichts eigener, teils heftig geführter Debatten über die Frage, ob und wie Linke in Deutschland den Bezug zur Arbeiterklasse verloren haben. Jahrzehntelang war darauf Verlass, dass die Rechten im Kern eine neoliberale Agenda verfolgen. Neoliberal und ausschließend – also genau das Gegenteil linker Politik. Geht der Linken mit der neuerdings sozialen Ausrichtung der Rechten nun ihr Antagonist verloren?
So neu sind die Töne jedoch gar nicht, die Höcke und das Ein-Prozent-Netzwerk anschlagen. Vielmehr kehrt damit eine Strömung in die deutsche Rechte zurück, die in den vergangenen Jahrzehnten weitgehend isoliert war: Die Nationalrevolutionären rangen bereits in den 1960er und 1970er Jahren – vergeblich – um Einfluss in Deutschland. In den Folgejahren fanden sich ihre Ausläufer eher im Neonazi-Spektrum, während die „rechtspopulistischen“ Parteiprojekte, die ab den 1980er Jahren entstanden waren, eine streng neoliberale Linie verfolgten.
Auch in der deutschen Neuen Rechten spielten die Nationalrevolutionäre von den 1980er Jahren an keine gewichtige Rolle. Der Fokus lag hier auf gesellschaftlichen Diskursen: Meta- statt Realpolitik lautete die Devise. Dabei ging es eher um eine traditionell romantische und kulturpessimistische Ausrichtung; Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik kamen allenfalls am Rande vor.
Sympathie für Bernie Sanders
Anders in Frankreich: Der Vordenker der französischen Rechten, Alain de Benoist, hat sich in den vergangenen Jahren verstärkt der „sozialen Frage“ angenommen. In einem zentralen Aufsatz aus dem Jahr 2009 wirft er der Rechten vor, im Kern wirtschaftsliberal zu sein. Die Linke habe sich vom Volk ab- und dem Lumpenproletariat zugewendet. „Sowohl rechts als auch links“, diese Losung gab er in Richtung der französischen Rechten aus. De Benoist hat jüngst Sympathien für Jean-Luc Mélenchon und Bernie Sanders bekundet.
So weit würde sein deutscher Apologet Benedikt Kaiser zwar nicht gehen. Aber auch in dessen Arbeiten finden sich ähnliche Positionen. Kaiser, Jahrgang 1987, ist Lektor beim Antaiois-Verlag, regelmäßiger Autor des rechten Theorieorgans Sezession und wichtiger Akteur im Institut für Staatspolitik (IfS) um Götz Kubitschek. In seinem Buch „Querfront“ spricht sich Kaiser gegen die Neoliberalisierung der Rechten aus und fordert sie dazu auf, sich der sozialen Frage anzunehmen.
Mit dieser Forderung ist Kaiser zur rechten Zeit am rechten Ort. Der Rechten kommt dabei eine allgemeine Tendenz zupass: Politiker aller Parteien und Intellektuelle jeglicher Schattierung fragen sich zunehmend, ob man die „kleinen Leute“ in den vergangenen Jahren vernachlässigt habe. Außerdem profitiert Kaiser von Verwerfungen und Spaltungen innerhalb der Neuen Rechten im Kreis um das IfS. Karlheinz Weißmann etwa hat sich 2014 in Richtung einer realpolitischen Orientierung verabschiedet, womit das Institut seinen zentralen strategischen Denker verlor. Eine Rolle, die Kubitschek, eher Aktivist als Stratege, eher romantischer Dichter als kühler Analytiker, nicht einnehmen kann. Kaiser schickt sich an, die durch den Weggang Weißmanns entstandene Lücke zu füllen – wenngleich mit einer anderen, eher „französischen“ Agenda. Eine Übernahme der französischen Linie strebt jedoch auch er nicht an.
Kaiser fungiert vor allem als verbindender Intellektueller und lässt sich dafür von linken Debatten inspirieren. So beschäftigte sich der neurechte Denker Ende vergangenen Jahres in der Sezession mit dem Konzept der revolutionären Realpolitik Rosa Luxemburgs, das im Umfeld der Linkspartei seit einiger Zeit dafür genutzt wird, zwischen den politischen Flügeln innerhalb der Partei zu vermitteln. Die AfD habe die Aufgabe, verschiedene Lager zu vereinen, „deren weltanschauliche Positionierungen mitunter stark voneinander abweichen können“, schreibt nun Kaiser. Die Rechte sei eine „Mosaik-Rechte“, formuliert er in Anlehnung an den vom Gewerkschaftslinken Hans-Jürgen Urban geprägten Begriff der „Mosaik-Linken“.
Kaiser weiß, dass die AfD als Integrationsmaschine für die verschiedenen traditionell gespaltenen rechten Strömungen funktioniert. Damit hat er eine ähnliche strategische Perspektive wie Alexander Gauland, der sich ebenfalls für mehr Pluralismus in der AfD ausspricht. Die Partei brauche einen wirtschaftsliberalen Flügel genauso wie einen konservativen und einen sozialen Flügel: „Wir müssen lernen, dass diese Flügel zusammenwirken und dass sie gemeinsam ein Ganzes bilden. Die Flügel dürfen nicht gegeneinander stehen“, so Gauland in einem Interview im Sommer 2016. Deshalb versteht sich der Partei- und Fraktionsvorsitzende sowohl mit der neoliberalen Alice Weidel als auch mit dem völkisch-sozialen Höcke. Innerhalb der gesamten Rechten sollen alle Strömungen Platz haben: rechtslibertäre, die sich einen reinen Ordnungsstaat wünschen, in dem Polizei und Armee für Sicherheit (der Kapitalbesitzer) sorgen – und völkisch-soziale, die für ein wenig (exklusiv-)soziales Antlitz sorgen.
Dank einer ziemlich guten Marketingabteilung gelingt es den Rechten außer- und innerhalb der AfD, die soziale Frage von rechts zu besetzen. Das besorgt Linke zu Recht. Dabei könnte das neue Teilchen des rechten Mosaiks für Linke ein Anlass sein, grundsätzlich zu klären, was links von rechts unterscheidet. Diese Bestimmung ist angesichts der Neuzusammensetzung der Rechten und der tiefen strukturellen Krise des neoliberalen Establishments ohnehin Gebot der Stunde.
Was also unterscheidet linke von rechter Analyse und Kritik? Das macht bereits eine oberflächliche Betrachtung deutlich. So setzen sich die Rechten allenfalls für mehr (exklusive) Umverteilung ein, etwa wenn Höcke die Frage nach oben und unten mit der nach innen und außen koppelt. In seinen jüngsten Reden spricht der völkisch-nationale Politiker vor allem über Geflüchtete und Menschen mit Migrationshintergrund, die Hartz IV bezögen und damit genauso viel bekämen wie „Deutsche“, was Höcke als skandalös darstellt. Damit ethnisiert er die soziale Frage in einer Weise, wie es vor ihm die NPD oder der ehemalige Berliner SPD-Finanzsenator Thilo Sarrazin getan haben.
Das Beispiel zeigt, dass die Begriffe „soziale Frage“ ebenso wie „soziale Gerechtigkeit“ kaum mehr als Worthülsen sind: Was als gerecht gilt, darüber herrscht in der Gesellschaft Uneinigkeit, ebenso wie darüber, was überhaupt mit dem Begriff der „sozialen Frage“ gemeint ist. Die Forderungen in diesem Bereich reichen von sozialdemokratischer Umverteilung bis hin zu vergleichsweise radikalem Bestehen auf Enteignung. Der linke Appell, die soziale Fragen zu besetzen, greift also zu kurz.
Eine deutliche Unterscheidung zwischen links und rechts findet sich jedoch bei der Frage nach politischen Subjekten im Kapitalismus. Die rechte Kritik wendet sich im Kern gegen den westlichen liberalen Kapitalismus, in dem sich „Nation“ und das „Volk“ verflüssigten, so Rechte sowohl der französischen als auch der deutschen Linie. Weiter geht der rechte „Antikapitalismus“ jedoch nicht – Kaiser kennt in seiner Argumentation keine Klassen.
Die linke Antwort auf die soziale Frage hingegen findet sich in der Klasse. Sie nimmt nicht nur die Verteilung von geschaffenem Reichtum in den Blick, sondern setzt auch an der Produktion des Reichtums an. Ausbeutung ist der zentrale Mechanismus, der Klassen hervorbringt: Die Ausbeutung der einen führt zum Reichtum der anderen. Die linke Klassenanalyse ist sich bewusst, dass Ausbeutung und Unterdrückung untrennbar miteinander verflochten sind: Es lässt sich besser ausbeuten, wer unterdrückt wird, zugleich dienen diverse Unterdrückungsformen dazu, die Ausbeutung unsichtbar zu machen. Rechte jedoch interessieren sich nicht für Ausbeutung und bedienen sich vorhandener nationalistischer und rassistischer Unterdrückungen. Auf der einen Seite Volk und Nation, auf der anderen Klasse und Ausbeutung: Nationalrevolutionäre Teilchen im Mosaik ändern nichts an dem grundsätzlichen Antagonismus zwischen links und rechts.
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Erschienen in Der Freitag 17/2018.