Saufen und Amore: Der Hype um die österreichische Schlagerrockband Wanda

Sie nennen ihre Musik »Pop mit Amore« und gelten als die Vertreter der neuen Generation des Austropops: Wanda, eine junge Band aus Wien, die momentan nicht nur in Österreich für Aufsehen sorgt. Benannt haben sich die fünf Männer nach Wanda Gertrude Kuchwalek. Die »Wilde Wanda« war eine Zuhälterin, eine Kultfigur im Wien der 1970er und 1980er Jahre.

Kultstatus in der Stadt an der Donau erlangte die Band bereits im vergangenen Jahr mit ihrem Song »Bologna«, der von dem Wunsch nach einem sexuellen Abenteuer mit der eigenen Cousine handelt. Im Video kommen sich eine Frau mit Strohhut und ein Mann mit Hosenträger in der italienischen Stadt näher. Die beiden sehen aus, als seien sie einem Film aus den 1960er Jahren entsprungen.

Auch die Musik von Wanda hat etwas anachronistisch-melancholisches: aus der Zeit gefallener Poprock mit kratziger, röhriger Stimme des Sängers Michael Marco Fitzhum, ein herzzerreißender Wiener Schmäh, ein leichter italienischer Touch in der Musik und immer wieder Gitarrensoli. Das Lyrische, was an »Bologna« noch begeisterte, muss man allerdings auf dem neuen Album mit der Lupe suchen. So glänzt der Refrain des Auftaktsongs des »Bussi«-Albums nicht gerade mit Reimästhetik: »1, 2, 3, 4 – es ist so schön bei dir / 5, 6, 7, 8 – ich bleib die ganze Nacht«.

Dem Erfolg tut das keinen Abbruch: »Bussi« erschien Anfang Oktober und wird auch von der Kulturelite in Deutschland überschwänglich gefeiert. Tagesthemen, Jugendfernsehen, FAZ-Feuilleton, Vice Magazin, alle feiern Wanda. Warum ist die Band so erfolgreich, frage ich mich, und starte eine kleine Umfrage unter denjenigen, die im Real Life oder in der Socialmedia-Welt mit Äußerungen zu Wanda aufgefallen sind.

Nicht authentisch, aber ehrlich

Ein lieber Kollege, der mich vor einigen Monaten überhaupt erst auf die Band aufmerksam gemacht hat, schreibt: »Bei Wanda muss man sich knebeln, um nicht mitzusingen.« Stimmt: Auch auf der neuen Platte entsprechen die Songs allen Regeln der Ohrwurmhits. Während ich meine Zähne putze und über Wanda nachdenke, ertappe ich mich dabei, wie ich »1, 2, 3, 4« summe.

Aber auch Helene Fischer und Wolfgang Petry haben ein Händchen für Mitgrölsongs. Fischer, Petry und Wanda liegen gar nicht so weit auseinander. Wanda behandelt mit »Amore« das gleiche Leitmotiv, auch wenn es ein bisschen cooler klingt als das altmodische Wort »Liebe«, das die Band aus Angst vor Kitsch konsequent vermeidet. Die Band wird nicht müde zu betonen, dass es ihr nicht um politische Aussagen gehe. »Wenn jemand fragt, wofür du stehst, sag für Amore, Amore!«, heißt es in »Bologna«. Ist Wanda vielleicht nur die bildungsbürgerliche Variante des Ballermann- und Après-Ski-Schlagers?

Das Feuilleton feiert das Raue, Wahre, was es in der Band entdeckt haben will. Wanda kokettiert mit diesem Bild: Die Bandmitglieder hätten sich in Wettcafés kennengelernt und den Bassisten von einem Arbeiterstrich in Wien eingesammelt. Klingt ziemlich authentisch. In einem Interview mit Einsfestival relativiert der Sänger diese Geschichte allerdings: Wichtig sei nicht, wer die Band wirklich sei. »Musik soll eine Projektionsfläche für das Unbewusste der Öffentlichkeit sein.« Auch auf »Bussi« macht die Band keinen Hehl daraus, dass es nicht um Wahrhaftigkeit geht: »Wenn du du selber bist – / bist du so fad, dass niemand mit dir spricht / es schaut dich niemand an, wenn du dich selbst / nicht spielen kannst / also lerne es lieber dann als wann / Und schau, dass du wirst, wer du gar nicht bist«, heißt es in einem Song.

Während ich weiter nach dem Grund für den Erfolg von Wanda suche, flattert eine weitere Antwort auf meine kleine Umfrage rein. Es sei genau die Ehrlichkeit, nicht echt zu sein, die ihm gefalle, sagt ein waschechter Wiener: »Nichts an ihrer Musik und ihren Texten ist ironisch-distanziert. Die Melodien, die Mitsing-Refrains, das Arrangement zwischen Austropop, 80er-Rock und Adriano Celentano: Nichts ist ein Zitat mit Augenzwinkern, sondern wirkt – ehrlich. Aber zugleich – und das ist entscheidend – ohne Anspruch auf Authentizität.« Der Wiener räumt ein, dass sich das Konzept, einfach ehrlich zu sein, nicht immer ausgeht, und nennt als Beispiel die Entscheidung der Band, Ronja von Rönne, in einem Video auftreten zu lassen. Diese erklärte vor einigen Monaten in der Tageszeitung Die Welt, der Feminismus ekle sie an. Der Auftritt von Ronja von Rönne brachte der Band den Vorwurf des Antifeminismus ein. Angesprochen auf die Kritik am Auftritt der Antifeministin, verkündete Wanda-Sänger Fitzthum im laut.de-Interview heldenmütig: »Ronja ist cool. Wer sie anrührt, den bringe ich um.«

Rock’n’Roll mit viel Testosteron

Man muss gar nicht die Liste der Schauspielerinnen in den Videos auswerten, um Wandas Faible für Machismo auf die Spur zu kommen. Es reicht, beim neuen Album genau hinzuhören: »Nimm sie, wenn du glaubst, dass du’s brauchst / steck sie ein wie zwanzig Cent«, heißt es da. Es ist dieses Zuviel an Männlichkeit, das kürzlich Stefanie Sargnagel in der Süddeutschen Zeitung dazu veranlasste, ausdrucksvoll ihre Gedanken zu schildern, die sie hatte, als sie einen Mitschnitt eines Konzertes mit Wanda betrachtete, bei dem der Sänger Fickbewegungen in die Luft machte: »Ich rieche förmlich den Hodenschweiß, der sich tief ins Gewebe der ranzigen Hose eingefressen hat und mit Bukowski’schen Bierschissresten korrespondiert.«

Die Antwort einer Socialmedia-Freundin aus Berlin auf meine Befragung geht in eine ähnliche Richtung. Wanda lösten bei ihr einen voyeuristischen Drang aus: »Ich will die männliche Schwanz-Hetero-Egomanie der Band begaffen, im Takt schunkeln und die Texte mitgrölen«, schreibt sie. Doch seit dem Video mit von Rönne gehe ihr deren feistes Grinsen nicht mehr aus dem Kopf. »Während mich das letzte verzweifelte Schwanz-Rausholen der Wanda-Boys, von dem Stefanie Sargnagel spricht, also unterhalten hat, versperrt von Rönnes Anwesenheit nun die Sicht. Deshalb gibt’s für mich keine schmierige Amore mehr mit Wanda.«

Auch wenn der Auftritt der Antifeministin die Band Sympathien gekostet haben dürfte, reitet Wanda weiterhin auf einer Welle des Erfolgs. Vielleicht auch gerade deswegen, passt ein erhöhter Testosteronspiegel doch perfekt zu ihrem Image. »Ich bin ein Mann alter Werte«, sagt der Wanda-Sänger gerne in Interviews und verweist darauf, dass er sich gerne prügelt, gerne trinkt, gerne fischt und gerne raucht.

Die Texte, die Musik und das Auftreten der Band vermitteln ein Gefühl verlorener Zeiten. Vielleicht macht das Wanda für viele so attraktiv: die Rohheit, das Prahlhänsische, das Lebemännische und Draufgängerische des Sängers, die Handarbeit, die Gitarrensoli, die so sehr nach den 1970er Jahren klingen, das Italophile, das in Promo-Bildern auftauchende Moped, das chronische Rauchen, die Eckkneipen, in denen sich die Band am liebsten mit der Presse trifft, der Schnaps, die Bierflaschen, die schon mittags geöffnet werden, kurzum: die große Rock’n’Roll-Geste, die so gar nichts mit dem langweiligen gesundheitsbewussten, immer Sport machenden, korrekten unternehmerischen Selbst des 21. Jahrhunderts zu tun hat. Wanda bietet eine Projektionsfläche für das Vergangene, das ihre Fans nur von Erzählungen ihrer Eltern oder aus Filmen und Büchern kennen. Es ist die Sehnsucht an eine Zeit, als Musik noch nicht aus dem Computer kam, Italien noch kein Krisen-, sondern ein Urlaubsland war, niemand Marathon lief, aber alle fischten und Männer noch Machos waren.

Ich muss zugeben, dass dieses Konzept auch bei mir funktioniert. Wanda trifft einen Nerv, der lange eingeklemmt war: Lautstark – und meilenweit über das Ziel hinausschießend – erteilen sie den Anforderungen des Alltags eine Absage und flüchten in eine Welt, in der es nur um Saufen und Amore geht. So kommt die kürzeste Antwort auf meine Umfrage der Wahrheit vielleicht am nächsten: »Ich mag an Wanda, dass sie furchtbar und anrührend zugleich sind.«

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Erschienen in ak – analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 609 / 20.10.2015.